8/11/2011

Wunderbare virtuelle Welt


Die Welt in der ich groß geworden bin, war anders als heute. Und dass, obwohl ich noch nicht mal 30 bin. Man benutzte zur Kommunikation noch Stift und Papier, schrieb sich Briefe, griff zum Telefonhörer und für die ganz dringenden Fälle gab es das Telegramm.  Manche Autos hatten ein Autotelefon und zu Hause konnte man schon schnurlos von überall aus sprechen. Mit ein bisschen Magie wurde ein Brief dann auch schon mal gefaxt und die ganz, ganz wichtigen Leute hatten etwas, das einer mobilen Telefonzelle glich und alles war, aber nicht „handlich“.
Die nicht mobilen Kabinen waren, genau wie die Briefkästen gelb und in jedem noch so kleinen Dorf mehrmals vertreten. Jeder konnte jeden immer irgendwie erreichen und wenn nicht, dann war es halt einfach nicht wichtig genug. Verabredungen wurden im Vorfeld besprochen und dann auch eingehalten, aus dem Urlaub kamen bunte, lustige Karten mit landestypischen Motiven und zu Weihnachten oder an Geburtstagen kamen hübsche, selbstgeschriebene Briefe. Die monatlichen Telefonate mit den Großeltern in Amerika waren heilig und wurden genauestens geplant und dann auch zelebriert. Im Fernsehen lief auch damals schon „Wetten dass…“, die Sportschau und die Tagesschau, doch auf dem einzigen Musiksender lief etwas, was die heutige Generation bei MTV nur noch aus Erzählungen kennt: MUSIK! Und zwar echte Musik. Moderiert wurde das Ganze von echten Menschen und auch auf anderen Sender war die Gefahr der Verdummung lang nicht so groß wie heute. Fotos wurden geknipst, entwickelt und spannend erwartet. Schnappschüsse, auf denen wir nicht grade unsere Schokoladenseite zeigen mussten zwangsläufig mitgenommen werden und zieren heut noch das Familienalbum. Konzerttickets oder Kinokarten wurden gemeinsam mit Bilderstreifen aus dem Automaten im Tagebuch archiviert und die Liebeserklärung vom Typen aus der 10. Klasse kam per Briefchen und wurde von einem selbstgestalteten, fast heiligen Mixtape untermalt. Um sich genauer kennen zu lernen, musste man sich unterhalten und es dauert eine Weile, um Freunde zu werden.
Und 15 Jahre später bin ich immer noch nicht groß geworden und alles, was ich von damals kannte hat sich verändert. Die Kommunikation läuft schon lang nicht mehr über sms oder E-Mail, denn What’s App, Skype und der Facebook Chat sind die schnelllebigen Nachrichtenüberbringer von heute und kaum einer benutzt noch sein Telefon, um zu telefonieren. Ein Mobiltelefon kann heute mehr als ein PC vor fünf Jahren noch konnte und wir sind durch diverse Medien immer online und immer erreichbar.
Der Liebesbrief wurde durch Emoticon auf der Facebook Pinnwand ersetzt und das mühevoll zusammengestellte Mixtape ist heute ein youtube Video auf genau der gleichen Pinnwand.
Im Netz ist alles möglich, alles zu bekommen und jeder immer und allzeit erreichbar. Shoppen können wir rund um die Uhr in jedem Land der Welt und bezahlt wird kaum noch mit Kreditkarte, sondern mit Onlinediensten. Um eine Person „kennen zu lernen“, klick ich mich durch das oft sehr aussagekräftige Profil bei einem der vielzähligen Social Networks und mit nur einem Klick sind wir dann auch schon „Freunde“. Oft ganz ohne auch nur den echten Namen oder andere mittlerweile nebensächliche Details von meinem neuen „Freund“ zu kennen. Und jemand, der 3000 Follower bei Twitter, 1500 Freunde bei Facebook, 600 Kontakte bei Xing und 500 alte Schulfreunde bei Studivz hat, der hat doch oft im realen Leben für die wichtigen 15 echten Freunde kaum noch Zeit. Und wenn es dann doch zu lang ersehnten Wiedersehen kommt, dann entsteht schnell eine peinliche Stille, weil man ja schon alles aus den letzten zehn Jahren weiß, auch ohne dass man auch nur ein Mal telefoniert oder geschrieben hat. Hochzeitsfotos hat man sich schon zwei Tage nach der Traumhochzeit auf Hawaii auf der eigens dafür erstellten Homepage angesehen und die Kinder kennt man ja auch schon aus diversen virtuellen Fotoalben. Und in eben diesen Fotoalben sieht man nur perfekte Fotos von perfekten Menschen in perfekten Momenten. Alles Dank digitaler Fotografie und Photoshop, denn würde freiwillig einen misslungenen Schnappschuss von der letzten Party online stellen. Dieser wird also entweder noch fix auf der Kamera gelöscht, oder einfach so bearbeitet, dass er schon wieder cool ist. Je nachdem, wie man sich gern sehen möchte. Denn im www kann sich jeder voll und ganz präsentieren und ist dann etwas gaaanz Besonderes. Ob diese Präsentation nun der Wahrheit entspricht, interessiert doch kaum einen wirklich. Meine diversen Profile sagen halt immer nur das aus, was ich auch aussagen möchte. Dies taten im Jahr 2010 bei Facebook, dem wohl erfolgreichsten Social Network, ganze 600 Millionen Menschen auf der ganzen Welt*. Und mit all diesen Menschen kann man sich rein theoretisch vernetzen.  
Und wer sich nicht direkt vernetzen will, aber trotzdem etwas zu sagen hat, der schreibt statt wie in den 90ern eine intimes und geheimes Tagesbuch eben einen Blog und stellt sich und sein Leben so dar, wie er sich gern sehen möchte. Geheimnisse gibt es kaum noch und man kann sich als virtueller Voyeur in das Leben von Menschen auf der ganzen Welt klicken. Egal ob Mode, Rezepte, Religion, Reiseziele, Musik, die Familie oder das Haustier; alles ist Thema auf ca. 152 Millionen Blogs im Jahr 2010*. Natürlich bin ich mir der Ironie bewusst, dass ich eben diese Medien benutze, um leichte Kritik an der Virtualisierung von einfach allem zu üben und natürlich stelle ich mich in diesem Moment ebenso dar, wie ich mich sehen möchte. Aber das ist ja auch eben das Tolle an der virtuellen Welt: alles ist möglich…

Alles Liebe, eure Anna ♥


*http://royal.pingdom.com/2011/01/12/internet-2010-in-numbers/

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